Krankenschwester gegen den wirtschaftlichen Kreislaufkollaps

Die Welt scheint abermals aus den Fugen geraten. Nachdem sich der wirtschaftliche Aufschwung ungeachtet von hitzigen Debatten über Flüchtlingskrise, Erderwärmung und Aufstieg von Populismus jahrelang immer weiter fortzusetzen schien, sorgt die Coronavirus-Pandemie nun seit knapp einem Monat auch in Deutschland für einen kompletten Stillstand. Neben den weitreichenden gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits angekündigt, dass Covid-19 auch einen ökonomischen Schäden anrichten wird, der absehbar größer ist als die Weltwirtschaftskrise von 2008. 

Wir unterhalten uns heute mit dem Ur-Rodenkirchener, Rote Funken Präsident und Senior-Partner der AHW Steuerberater Wirtschaftsprüfer Rechtsanwälte Insolvenzverwalter Heinz-Günther Hunold darüber, wie er den Ausbruch erlebt hat, wie er die aktuellen Bemühungen zur wirtschaftlichen Schadensbegrenzung einschätzt und welche Ratschläge zur Bewältigung der Krise er seinen Mandanten gibt und auch im eigenen Unternehmen umsetzt.

Herr Hunold, seit Anfang März bestimmt die Corona-Pandemie unseren Alltag. Wie haben Sie den vergangenen Monat erlebt?

HGH: Es fühlt sich so an als sei in vier Wochen ein ganzes Jahr vergangen. Der Jahresanfang ist bei mir persönlich immer sehr stark vom Karneval geprägt, deshalb ist Aschermittwoch für mich ein Stichtag, an dem alles erst einmal wieder seinen normalen Gang nachgeht. Dieses Jahr aber nicht. In der Nachkarnevalswoche bin ich zur Erholung mit meinem ältesten Sohn in der Schweiz noch eine Woche Skifahren gewesen. Da wurde Corona zwar schon spürbar zum Gesprächsthema, aber die Gaststätten waren noch voll, es hatte noch keinen bedrohlichen Charakter. Als ich am 8. März zurückkam, brach gefühlt die Hölle aus.

Welche Maßnahmen haben Sie in Ihrem Unternehmen ergriffen als der Virus in Deutschland ankam?

Karnevalsdienstag wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass Corona auch für unser Unternehmen eine Herausforderung darstellen könnte. Wir haben dann aus unseren Führungskräften einen Krisenstab aufgebaut, in dem wir einige Szenarien durchgespielt haben: Was passiert, wenn Mitarbeiter ausfallen? Wie ergeht es unseren Mandanten? Wie reagieren wir darauf? Wir haben dann unseren gesamten Kundenstamm durchklassifiziert von „akut insolvenzgefährdet“, über „hat Reserven“ bis hin zu „hat keine Probleme“. Anhand dieser Priorisierung sind wir dann in Kontakt zu unseren Kunden getreten und haben angefangen gemeinsam Lösungen zu entwickeln.

Wie schaffen Sie es, dass in Zeiten, in denen durch Quarantäne-Maßnahmen Betriebe lahm gelegt werden, weitergearbeitet werden kann?

Wir haben natürlich Glück, dass in unserem Beruf fast sämtliche Arbeiten auch auf den Heimarbeitsplatz ausgelagert werden können. Und so haben wir auf unsere bereits gute Home-Office-Infrastruktur, zu der die Bereitstellung von Laptops, Dokumenten-Management-Software und Telefon- und Videokonferenzen gehören, zurückgreifen können. Von unseren nahezu 100 Mitarbeitern arbeiten nun knapp 60% von zu Hause. In Büros wo sonst zwei oder vier Personen saßen, sitzt jetzt nur noch eine – und das abwechselnd, damit jeder Zeiten einplanen kann in der man auf Akten zugreifen kann oder die ein oder andere Besprechung doch noch persönlich stattfinden kann. Doch obwohl wir verhältnismäßig gut auf die neuen Anforderungen vorbereitet waren ergeben sich mit Heimarbeit und dem Wegfall von Kinderbetreuung weitere Herausforderungen im Bezug auf Datenschutz und Arbeitsorganisation, auf die wir flexibel Antworten finden mussten.

Und dann gibt es auch immer noch Murphy’s Gesetz: Egal wie gut man vorbereitet ist, am Ende trifft es einen doch. Und so hatten auch wir in unserem Haus einen Partner, der positiv auf Corona getestet wurde (aber gottseidank nicht in der Firma wahr) und einige mehr, die durch unmittelbaren Kontakt präventiv in Quarantäne gehen mussten.

Was raten Sie Ihren Mandanten? Welche Instrumente zur Unternehmenssicherung gibt es jetzt?

Zum einen geht es darum, dass Unternehmen nach Möglichkeit in ihren Arbeitsabläufen so aufgestellt werden, dass die Produktivität unter Einhaltung der sich ständig verändernden Gesetzeslage hochgehalten werden kann. Für diejenigen, denen das jetzt schon nicht mehr möglich ist, geht es darum Kosten durch ungeliebte Kurzarbeit oder Darlehensstundungen zu senken und andererseits Einnahmeverluste durch die Beantragung von Fördermitteln und Überbrückungskrediten auszugleichen. Dafür stellen wir mit unseren Mandanten Liquiditätspläne auf, die simulieren, was passiert was passiert, wenn im Worst-Case bis zum Jahresende kein einziger Euro Umsatz verdient wird.

Dabei muss ich allerdings auch deutlich kritisieren, dass die administrative Überlastung von Ämtern und Banken ein echtes Hindernis darstellt. So haben wir es zum Beispiel nur unter Einbeziehung des Vorstandes geschafft, dass ein namhaftes Kreditinstitut für einen unserer Kunden den ersten Überbrückungskredit der Corona-Zeit überhaupt bewilligt hat. Das ist für ein mittelständiges Unternehmen alleine fast gar nicht zu bewältigen.

Stichwort, überlastete Verwaltung. Können Sie uns hierzu ein paar Einblicke geben?

Für die Beantragung von Kurzarbeitergeld, gab es Stand letzte Woche 75 Tausend Anträge bundesweit. Das hat die Arbeitsämter in die missliche Situation gebracht, dass sie für die bürokratische Bearbeitung notwendige Auftragsnummer gar nicht mehr ausstellen konnten. Deshalb hat man sich nun dazu durchgerungen, dass die Antragsstellung auch ohne KuG-Nummer erfolgen kann – und zwar auch rückwirkend. Allerdings geht man davon aus, dass das Geld frühestens ab Ende April/ Anfang Mai – wir rechnen mit Ende Mai – fließen kann. Das ist für viele in Not geratene Unternehmen hoffentlich nicht zu spät.

Anderes Beispiel: Für Staatliche Zuschüsse zur Rettung von kleinen und mittleren Betrieben, die nicht rückzahlungspflichtig sind und je nach Unternehmensgröße ein Volumen von bis zu 25 Tausend Euro umfassen, hat der Bund 50 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Allerdings war bis zuletzt nicht bekannt wie das Antragsstellungsverfahren aussieht. Erst seit Freitag gibt es ein Online-Verfahren in welchem die Mittel beantragen können. Da ist der Staat im Krisenmanagement leider deutlich zu unflexibel.

Wie sieht nun Ihr Tagesablauf aus?

Ich arbeite seit zwei Wochen nahezu ausschließlich im Home-Office, obwohl ich normalerweise in meinem Arbeitsalltag öfter beim Kunden als im Büro bin. Mein Tag beginnt um 7 Uhr, wenn der Krisenstab in einer Telefonkonferenz tagt, um die neusten Entwicklungen zusammenzutragen. Zunächst geht es darum, die eigene Arbeitskraft festzustellen; herauszufinden ob Kollegen erkrankt oder beispielsweise, um die Familie zu versorgen, anderweitig verhindert sind. Dann geht es um die Frage: Welche neuen Regelungen und Fördermaßnahmen gibt es von Bund und Land? Welche Mandanten betrifft das? Dabei gilt es einerseits die erste Welle von Unternehmen zu versorgen, die in Branchen wie Einzelhandel, Gastronomie und Touristik tätig sind und durch erzwungene Schließung schon jetzt in intensiver Betreuung sind, aber andererseits auch darum eine zweite und dritte Welle an Wirtschaftszweigen zu antizipieren auf die Verschärfungen zukommen könnten und unsere Kunden diesbezüglich frühzeitig zu sensibilisieren.

Welche Auswirkungen hat Covid-19 auf die Unternehmensberatungsbranche?

Wir gehören aktuell zu der Gruppe Unternehmen, denen es an Arbeit sicherlich nicht mangelt. Ganz im Gegenteil: Meine Kollegen und ich versuchen alles Menschenmögliche, um die vielen dringenden Fragestellungen unserer Kunden abzuarbeiten. Das ist oft mit einem enormen zeitlichen Druck verbunden, da es hierbei ja oft um existenzielle Fragen geht bei denen der Tag X, an dem die Kasse leer ist, mit allen Mitteln verhindert werden muss. Deshalb sind 12 bis 16 Stunden-Arbeitstage wirklich keine Seltenheit. Ich muss meinen Mitarbeitern wirklich ein außerordentliches Lob ausstellen: Wie gut sie diese Krisenzeitwegstecken, kann ich gar nicht hoch genug anerkennen.  Ich will nicht vermessen klingen, aber neben dem medizinischen Personal, welches im Moment Höchstleistungen liefert, um einen gesundheitlichen Schaden von der Gesellschaft abzuwenden, sehe ich meinen Berufsstand aktuell als Krankenschwester, die den wirtschaftlichen Kreislaufkollaps zu verhindern versucht. Denn genauso wichtig wie es ist, dass Infizierte wieder geheilt werden, ist es auch, dass sie in einen Job zurückkehren können mit denen sie sich und ihre Familie ernähren können.

Wie lange wird der aktuelle Zustand ihrer Ansicht nach andauern? Was ist für die Zukunft wichtig?

Wenn wir sehen, dass selbst sportliche Großereignisse wie die Fußballeuropameisterschaft und Olympia ins nächste Jahr verlegt worden sind, kann man nur sagen: wahrscheinlich länger als wir alle glauben. Das wird Unternehmen mindestens das ganze Jahr beschäftigen. Ich halte es für äußerst gefährlich sich auf Erspartem auszuruhen und darauf zu hoffen, die Krise aussitzen zu können. Selbst wenn man als Unternehmen aktuell noch nicht allzu sehr betroffen sein sollte, gilt es schon jetzt sämtliche Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Kasse voll zu machen. Erst recht mit Hinblick auf die angesprochene träge Auftragsbearbeitung der entsprechenden Verwaltungen.

Wenn Sie aktuell Fragen zur wirtschaftlichen Krisenbewältigung für Ihr Unternehmen haben: Das Team von AHW Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Rechtanwälte hilft Ihnen gerne. Melden Sie sich für ein unverbindliches Gespräch unter 02236 398220 oder info@ahw-steuerberater.de.